50plus: Wo - bitte - geht's hier zur nächsten Kreuzfahrt?

Die Informationen und Ratgeber zur Lebensphase 50plus werden dominiert von Themen wie Reisen, Gesundheit, Partnerschaft im Alter, finanzielle Vorsorge, Immobilien und Nachlass. Die Wirtschaft, zwar wenig erpicht 50plus Leute zu beschäftigen, bearbeitet nachhaltig dieses Kundensegment.

Konsum im Alter ist schön und Entschädigung für anstrengende Jahre. Ob Konsum und überspitzte Fokussierung auf Gesundheit, Optimierung der Vorsorge und rechtzeitige Planung des Nachlasses ausschliesslicher Lebensinhalt sein kann, ist eine andere Frage. Sicher aber ist, dass demografische Veränderungen und die daraus resultierende Schieflage unserer Sozialwerke eine kluge Partizipation älterer Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft erfordern. Dazu müssen die Unternehmen umdenken (...), aber gleichermassen auch die nächste Rentnergeneration, die sich heute im 50plus-Alter befindet. Dabei geht es nicht primär um einige weitere Jahre im Arbeitsprozess, sondern vor allem auch um Teilhabe an der Gesellschaft als mündiger, lebendiger, immer noch neugieriger und vor allem lernfähiger älterer Mensch. 

 

Alter und lernen

Alt sind wir erst, wenn wir aufhören zu lernen! Alle bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass unser Hirn bis in hohe Alter plastisch und veränderbar ist. Zwar gehen Schnelligkeit in der Auffassung und Gedächtnisleistung zurück, beides kann aber durch Übung und Repetition kompensiert werden. Eine neue Fremdsprache zu lernen oder sich Programmierkenntnisse anzueignen ist keine unüberwindbare Schranke! Sich mit Tai-Chi oder Yoga auseinanderzusetzen und Körperhaltungen und -übungen kennenzulernen, ist mit etwas Wille und Aufwand möglich.

Lernen besteht aber nicht nur in der Aufnahme neuen Wissens, sondern vor allem in der Anwendung des Wissens. Eine neue Sprache habe ich erst dann gelernt, wenn ich sie auch spreche und schreibe! Tai-Chi beherrsche ich nur, wenn ich es anwende. Eine Bildungsreise bringt mich nur weiter, wenn ich die gewonnen Erkenntnisse in einem interkulturellen Kontext auch anwende. 

In diesem Sinne ist Lernen immer auch mit einer Verhaltensänderung verbunden. Durch Lernen verändere und entwickle ich mich – bleibe geistig und körperlich lebendig! 

 

Kulturelles Altern

Alt sind wir, wenn wir die Welt nicht mehr verstehen, oder wenn wir «kulturell» altern, wie es Jean Améry in seinem Essay «Über das Altern» nannte. Was ist gemeint? 

Schleichend, fast unmerklich, stossen wir im Zeitgeschehen auf Phänomene, die mit unserem Werte- und Referenzsystem kollidieren. Die Welt um uns herum passt nicht mehr zu dem, was wir immer als gut und richtig betrachtet haben. 

Beispiele gefällig? 

·     Zerrissene Jeans bei an sich eleganten, sauberen und viven jungen Mitmenschen scheinen uns unpassend und unpraktisch, weil an mindestens 250 Tagen im Jahr viel zu kalt. 

·     Für eine simple telefonische Auskunft bei renommierten Unternehmen werden wir in eine Routine geschickt, die uns über Zwischenstationen wie Angaben zu Sprache und Art unseres Problems in eine Endlosschlaufe dirigiert, die  – im schlimmsten Fall - mit dem Hinweis endet, es später nochmals zu versuchen. 

Oder etwas höherwertige Situationen:

·     In modernen Inszenierungen von klassischen Theaterstücken erschliesst sich uns nicht sofort, warum halbnackte Schauspieler vorwiegend Obszönitäten von sich geben. 

·     In der politischen Diskussion wundern wir uns über Themen und Thesen, die vor 40 Jahren heiss diskutiert, abgehakt und eigentlich abgeschlossen wurden. 

Wer solche und ähnliche Gedanken vereinzelt und dann immer häufiger hat, merkt, dass die Welt nicht mehr «seine» Welt ist. Das in der Adoleszenz entwickelte und später gefestigte Referenzsystem ist aus der Zeit gefallen: Wir sind kulturell gealtert, wir verstehen die Welt nicht mehr - und bauen dadurch eine der grössten Lernblockaden auf, die es gibt, nämlich «kein Bock» auf Neues!

Klar: Eine kritische Distanz zum Zeitgeist ist unerlässlich! Einspruch und Widerrede halten uns intellektuell lebendig, aktuelle Entwicklungen und Innovationen sind nicht a priori gut. Eine Gesellschaft muss Erneuern und Bewahren in eine Balance bringen und immer wieder neu aushandeln. Aber: Das Neue ist Fakt, es wird sich nicht unserem Geschmack anpassen, wirsind gefordert und müssen uns auseinandersetzen!

 

Lernen heisst auch vergessen

Lernen können wir nur, wenn wir Lust haben auf Neues, auf die Welt und die Menschen. Kinder lernen deshalb so schnell und leicht, weil sie alles Neue als neu aufnehmen, und nicht an bereits vorhandenem Wissen messen. Alles Neue ist erstmalig, überraschend, spannend und leicht zu merken, weil es nicht kollidiert mit bereits Bekanntem. 

50 Jahre später wird das Kind von einst eine Unmenge von Erfahrungen gemacht haben. Im Gedächtnis sind viel Wissen, viele Erlebnisse, viel Lebenserfahrung gespeichert. Nun wird alles Neue vorerst geprüft und verglichen mit bereits Bekanntem: wo an Erfahrungen angeknüpft werden kann, bewegt man sich auf sicherem Boden, wo Unbekanntes aufscheint, ist man unsicher, vorsichtig und tendenziell skeptisch – es passt nicht in unseren Erfahrungsschatz!

Lernen im Alter heisst deshalb auch, bisherige Erfahrungen zu relativieren und auf die Seite zu stellen. Lebenserfahrungen geben uns ein wichtiges Repertoire für die Beurteilung von Problemen, aber sie dürfen uns nicht im Wege stehen, sich auf Neues einzulassen. Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen: Lernen heisst auch vergessen und Platz machen für Neues! 

Neues Wissen, neue Einsichten und neue Kenntnisse, die auch nachhaltig eingesetzt werden – findet man wohl eher nicht auf einer Kreuzfahrt!

 

Werner Inderbitzin

ehemals Rektor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften