Arbeitsmarkt: 50plus und «out»
Die Diskriminierung von Stellensuchenden ausschliesslich aufgrund ihres Alters ist ein Fakt. Zu diesem Schluss kommt eine vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO in Auftrag gegebene Studie. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/56825.pdf
Wer mit der Praxis von Selektionsprozessen in Unternehmen einigermassen vertraut ist, dürfte das keine Überraschung sein. Die Ursachen für diese Diskriminierung sind vielfältig, sie sind aber sicher beeinflusst von zwei Stereotypen: (i) Ältere Mitarbeitende sind unflexibel, kompliziert, ordnen sich nur schwer in ein neues Umfeld ein und tendieren dazu, «schwierige» Personalfälle zu werden. (ii) Ältere Mitarbeitende bringen die falschen, weil veralteten, Kompetenzen und Erfahrungen mit.
Stereotypen sind Clichés, die den einzelnen Fall nicht zutreffend abbilden. Sie entstehen aus einer Mischung von Fakten, Vermutungen, Werthaltungen und Zeitgeist und sind somit nur eine verzerrte Wiedergabe der Realität. Trotzdem beeinflussen sie das Handeln der Akteure und müssen deshalb ernst genommen werden. Vor allem wenn es um längerfristige Lösungen geht, muss man sie berücksichtigen und ansetzen bei der Führung und den Werthaltungen in Unternehmen sowie beim Verständnis, was «long life learning» sein sollte und sein könnte.
Unternehmensführung und Zeitgeist
Die Führung eines Unternehmens ist oft konfrontiert mit dem Ausgleich zwischen konträren Leitlinien und Maximen, nach denen sich die Unternehmenstätigkeit richten soll.
Beispiele:
Schnelle Veränderung und Anpassung gegenüber Festhalten an Traditionen und Bewährtem
Flexibilität gegenüber Beständigkeit
Neues (junges) Wissen gegenüber bewährtem (altem) Wissen.
Solche und andere Kontradiktionen sind bei der Führung einer Institution immer wieder neu auszuhandeln – die «richtige» Wahl liegt nicht a priori beim einen oder anderen Grundsatz sondern dürfte in der Praxis irgendwo zwischen den beiden extremen Polen angesiedelt sein.
Der Zeitgeist aber, der die Gesellschaft antreibt und auch die Führung von Unternehmen beeinflusst, fokussiert heute primär auf: Schnell, flexibel, neu, jung! Obwohl wir wissen und es Evidenz gibt, dass zahlreiche Unternehmen langfristig erfolgreich waren, weil sie sich auchan Traditionen und Bewährtem orientierten, ist es oft einfacher, sich für «flexibel, neu, jung» stark zu machen, statt für «beständig, bewährt, alt»! Somit ist nicht verwunderlich, dass ein Personalchef einen grösseren Überzeugungsaufwand zu leisten hat, wenn er der Linie einen älteren Stellenbewerber, eine ältere Stellenbewerberin andienen möchte. Alt sein widerspricht dem Zeitgeist - mit entsprechenden Konsequenzen für den Arbeitsmarkt.
Kurzfristig ist somit auch kaum zu erwarten, dass die systematische Geringschätzung von älteren Menschen am Arbeitsmarkt verschwindet. Nur ein Sinneswandel und eine ausgewogenere Beurteilung von neu und alt, von Verändern und Bewahren wird langfristig bessere Bedingungen für Ältere zur Folge haben.
Lebenslanges Lernen
Die Anmahnung von Weiterbildung für ältere ArbeitnehmerInnen gehört zu den Evergreens der Arbeitsmarktpolitik. Kein Regierungsprogramm, kein Parteiprogramm in dem dieses Postulat nicht an prominenter Stelle stehen würde. Fakt ist, dass in den vergangenen 25 Jahren die Angebote für Weiterbildungen jeglicher Art und Provenienz stark zugenommen haben. Fakt ist aber auch, dass trotzdem Mitarbeitende in Unternehmen oft ungenügend qualifiziert sind für neue und neuartige Technologien und daraus entstehende Tätigkeiten. Was läuft da schief?
Lebenslanges Lernen ist ein permanenter Prozess, den das Individuum durchläuft – am Arbeitsplatz, in einem Weiterbildungskurs oder in seinem Privatleben. Lebenslanges Lernen ist primär eine Haltung, sich permanent für neue Entwicklungen zu interessieren, zu Einsichten und «Aha-Erlebnissen» zu kommen und diese in sein Leben einfliessen zu lassen. Diesen Prozess müssen der Einzelne und das Unternehmen permanent in Gang halten. Ohne «nudging», ohne Anstupsen geht das nicht!
Was wir heute in den Weiterbildungsangeboten sehen, hat nur bedingt etwas mit diesem geschilderten Lernprozess zu tun. Ein Weiterbildungsseminar kann helfen, den Lernprozess in Gang zu setzen oder zu fördern – mehr nicht. Lernen muss das Individuum selber! Der Weiterbildungsmarkt ist leider hauptsächlich zu einem Markt für Zertifikate und Diplome geworden, mit deren Hilfe die Unternehmen genötigt werden, höhere Löhne zu bezahlen, und es ist keineswegs gesichert, dass aus all diesen Seminaren und Kursen ein echtes «longlife learning» entsteht.
Was tun?
In aller Kürze könnte man für alle Stakeholder Aufgaben formulieren:
für die staatliche Bildungspolitik, nämlich ein rationales und kohärentes, auf lebenslanges Lernen ausgerichtetes Bildungssystem zu entwickeln und zu finanzieren, welches vor allem die Segmentierung zwischen Grundbildung und Weiterbildung aufgibt und für umfassende Qualitätssicherung sorgt
für die Privatwirtschaft, nämlich ihre Mitarbeitenden in die Pflicht des lebenslangen Lernens zu nehmen, welche nicht einfach mit der Finanzierung von Weiterbildungsseminaren abgetan ist, sondern in individuelle Jahresziele umgesetzt wird
für den/die Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin, nämlich sich für seine eigenen fachlichen und über-fachlichen Kompetenzen verantwortlich zu fühlen, offen zu sein für lebenslanges Lernen, daraus eine individuelle Mission zu machen, die zur individuellen Entwicklung beiträgt.