Die kontrollierte Hochschule: Management durch Kontrollen – oder Vertrauen in Menschen?

Vertrauen ist ein zunehmend beliebter Begriff im Managementvokabular. Solange keine gravierenden Fehler oder Skandale passieren! Fehlverhalten von Führungspersonen werden oft erst im Nachhinein und nach langer Zeit entdeckt: Finanzielle Verfehlungen, übermässige Spesenbezüge, sexuelle Belästigungen, Mobbing, Ausbeutung von Angestellten und was der Dinge mehr sind. Umso empörter der Aufschrei der Öffentlichkeit! 

Einschlägige Ereignisse gibt es in Unternehmen, der staatlichen Verwaltung und in Hochschulen. Verständlich und richtig, dass die Leitungsorgane genauer hinschauen und mit klaren und unmissverständlichen Zeichen reagieren: Freistellungen, Entlassungen, Anpassung der Regeln und Kontrollen. Damit kann man intern Remedur schaffen und die öffentliche und veröffentliche Meinung besänftigen. Sind damit die Probleme nachhaltig und auf Dauer unter Kontrolle?

Vielleicht – vielleicht auch nicht! Immer mehr und differenziertere Regeln, immer mehr Reporting und Meldestellen sowie akribische Kontrollen bringen oft keine Lösung. Eine Flut von Weisungen und Heerscharen von Kontrolleuren können nicht ersetzen was in einer Organisation von zentraler Bedeutung ist: Vertrauen!

Ohne Vertrauen funktioniert das Leben nicht. Wenn ich in ein Flugzeug steige, vertraue ich auf die Fähigkeiten des Piloten und seine Integrität. Ich vertraue darauf, dass er das Flugzeug steuern kann und nicht mutwillig zum Absturz bringt! Beides prüfe ich nicht nach, es wäre in der Praxis auch sehr aufwändig bis unmöglich! Wenn ich nicht vertrauen würde, könnte ich morgens nicht aufstehen, schreibt Niklas Luhman in seiner Abhandlung über Vertrauen. 

Im täglichen Verkehr können wir uns nur bewegen, weil wir darauf vertrauen, dass alle Verkehrsteilnehmer um uns herum sich vernünftig verhalten. Mit einer Mischung aus Wahrnehmung (Der rote Sportwagen ist schnell - aufgepasst!), Erfahrungswissen (Die Trambahn wird an der Haltestelle stoppen.) und Bauchgefühl (Die Leute um mich herum sind mutmasslich keine Terroristen.) können wir mit einer äusserst komplexen Umwelt umgehen. 

Vertrauen ist eine Fähigkeit des Menschen, Komplexität zu bewältigen. Nicht immer, aber im Normalfall führt diese Fähigkeit zum Erfolg und wir überleben im täglichen Chaos.

Und im Management? Ein grosser Teil der Führung von Organisationen basiert ebenfalls auf Vertrauen zwischen Leitung und Mitarbeitenden – und zwar wechselseitig. In Hochschulen dürfte dieses «Management by trust» noch ausgeprägter vorkommen, schliesslich lehren und forschen da überdurchschnittlich intelligente Menschen... 

Und wenn «etwas» passiert? Die Forderung nach Durchgreifen, Regeln, Reporting und Kontrollen lässt nicht lange auf sich warten. 

Aber müssen nicht dort, wo sich besonders grossen Risiken zeigen, Katastrophen und andere fatale Ereignisse eintreten können, detaillierte Regeln, Checklisten und stringente Kontrollen verordnet werden? Die Antwort ist differenziert:

Einerseits: Ohne Regeln und Vorschriften funktioniert kein Unternehmen und keine Hochschule! Jede Organisation gründet auf einer Rahmenordnung von do’s und dont’s, deren Einhaltung für das Funktionieren essentiell ist. Und diese Rahmenordnung muss selbstverständlich - ohne «wenn» und «aber» - durchgesetzt werden. Dies ist auch ein Akt der Fairness und Gerechtigkeit gegenüber allen Angehörigen der Organisation!

Andererseits: Immer mehr Kontrollmechanismen können zwar das Risiko eines nachteiligen Ereignisses mindern, aber nie ganz reduzieren. Gleichzeitig aber steigt der Aufwand für die Überwachung und Führung beträchtlich an. Dazu kommt, dass sich Kontrollmechanismen immer stark an der Vergangenheit orientieren und nicht an neuen Problemkonstellationen. Gerade in der Führung entstehen neue Herausforderungen durch den Wertewandel und neue Sensibilitäten der Gesellschaft: Anerkennung von Diversity gehört dazu genauso wie der Umgang der Geschlechter miteinander. Und bezogen auf die Hochschulen: Dass Doktoranden für ihre Doktorväter bzw. -mütter schuften, ist seit Jahrzehnten ein Faktum, wird aber im 21. Jahrhundert von einer zu Recht sensibilisierten jungen Generation nicht mehr einfach so hingenommen. 

So enden wir schliesslich wieder bei Menschen und beim Vertrauen: Um grosse Risiken und Schäden prospektiv zu erkennen und zu vermeiden braucht es Menschen, die fachlich undmenschlich umfassend agieren: Menschen, denen man vertrauen kann!

Oder anders herum: Die Auswahl und Qualifizierung von Personen ist die zentrale und entscheidende Aufgabe der Führung. Regeln und Kontrollen können im guten Fall unterstützen, im schlechten Fall behindern sie durch grossen administrativen Aufwand. 


Werner Inderbitzin

ehemals Rektor Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften