Haben Hochschulen ein Führungsproblem?
In den vergangenen Monaten häufen sich in der Schweiz Pressemeldungen zu Missständen an Hochschulen. Sei es das Finanzgebaren im Umgang mit Spesen, seien es sexuelle Belästigungen von Doktorandinnnen oder sei es der Umgang mit Nebenbeschäftigungen von Hochschulangehörigen. Haben Hochschulen ein Problem mit der Führung der Institution und der Führung von Mitarbeitenden?
Die Antwort ist nein – und ja!
Es wäre unfair und vermessen, aufgrund von einigen wenigen Indizien verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Hochschulen haben wohl nicht mehr und nicht weniger Führungsprobleme als Privatunternehmen, und die zitierten Ereignisse könnten auch zu privatwirtschaftlichen Unternehmen passen.
Trotzdem ist die eingangs gestellte Frage zum Teil mit «ja» zu beantworten: Hochschulen haben ein Problem mit Führung! Warum?
Wissenschaftliches Arbeiten entzieht sich weitgehend den üblichen Führungsinstrumenten wie strategische Planung oder Führung mit Zielen. Lehren und Lernen ist ein Entwicklungsprozess, der nicht verglichen werden kann, mit der Herstellung von materiellen Gütern. Mit solchen und ähnlichen Überlegungen wehren sich Professorinnen und Professoren oft vehement dagegen, «geführt» zu werden. Und das ist auch gut so.
Fatal wird es, wenn sich – ausdrücklich oder stillschweigend – eine Haltung verbreitet, an einer Hochschule brauche es keine Regeln. Dass die Meinung vorherrscht, die Angehörigen der Hochschulen seien ja schliesslich so klug und weise, dass sie selber am besten wüssten, was zulässig ist und was nicht. Oder als Variante dieser Haltung: Es gibt zwar Regeln, aber wenn ich im konkreten und persönlichen Fall finde, sie passen nicht, kann man sie auch mal übergehen.
So beschrieben erscheint das etwas schräg und wenig realitätsnah – ist es aber nicht! Warum? Wissenschaftlich arbeitende Menschen sind darauf getrimmt, die Wahrheit zu finden. Sie sind ausgebildet worden, alle Ergebnisse der Forschung immer wieder in Frage zu stellen und neu zu prüfen. Nur so kommen wir der Wahrheit näher. Also warum nicht auch die in der Hochschule beschlossenen Regeln, Weisungen und Standards in Frage zu stellen, sie lediglich als vorläufige Normen zu akzeptieren und von Fall zu Fall auch etwas grosszügig auszulegen? Es ist die grosse Herausforderung der Leitungsorgane von Hochschulen, in dieser Beziehung Verbindlichkeit einzufordern und auf die Gültigkeit von Regeln zu pochen. Viele Hochschulangehörige werden das als stur und unflexibel empfinden. Das ändert aber nichts an der – vielleicht unangenehmen – Wahrheit, dass die immer gleiche Anwendung von Standards Voraussetzung für Gerechtigkeit und Wohlbefinden in einer Institution darstellt, auch an Hochschulen. Und das ist auch eine der grossen Herausforderungen der Führung in Hochschulen: Verbindlichkeit bezüglich Regeln und Standards durchsetzen!
Werner Inderbitzin