Leadership as it's best

Dieser Tage hat der Dirigent Bernard Haitink seine Serie von Abschiedskonzerten am Lucerne Festival mit Bruckners 7. Symphonie beendet. Wer das Glück hatte, noch einmal diesem grandiosen Können, der tiefen Interpretation einer Mahler- oder Bruckner-Symphonie beizuwohnen, wird das wohl nicht mehr vergessen: Kraft durch Ruhe, Führung des Orchesters durch Blick und minimale Handzeichen, Charisma und Ausstrahlung des 90-jährigen Grandseigneurs!

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Es ist nicht der Platz und es wäre vermessen, in diesen wenigen Zeilen eine Würdigung des Dirigenten Haitink zu versuchen. Interessant und relevant aber ist die Frage: Auf welchen Elementen ist eine derart imposante Leistung möglich? Wie schafft ein grosser Dirigent zusammen mit seinem Orchester eine Höchstleistung dieser Art?

Der Vergleich mit Führung und Leadership ist evident - und Exzellenz ist in aller Munde! Ein Dirigent führt an die 100 Musiker - sozusagen Direktunterstellte - die alle selber hochausgebildete Spezialisten und Individualisten sind, nicht selten in anderen Formationen oder als Solisten ebenfalls höchst erfolgreich. Mit anderen Worten: Die Leitung des Orchesters ist gleichbedeutend mit der Führung von Personen, die nicht darauf gewartet haben, dass ihnen jemand Anweisungen gibt, was sie zu tun haben, sondern selber klare Vorstellungen haben, wie Mahler oder Bruckner zu klingen hat! Klingt irgendwie vertraut und kommt in zahlreichen Branchen und Professionen der Arbeitswelt ebenfalls vor.

Natürlich: Vergleiche hinken immer und Erfahrungen in einer Branche lassen sich nicht ohne Weiteres auf andere übertragen: Die Finanzindustrie tickt anders wir die produzierende Industrie, und das Gesundheitswesen zeichnet sich durch besondere Merkmale aus genauso wie die höhere Bildung. Trotzdem ist Vergleichbares vorhanden:

  • Fachliches Wissen und Können

Hätte Bernard Haitink gegenüber dem Orchester die unbestrittene Autorität, wenn er seinen Mahler und Bruckner nicht à fonds erarbeitet und in jeder Hinsicht reflektiert hätte?

  • Erfahrung

In 65 Jahren Tätigkeit als Dirigent ist ein grosses Erfahrungswissen und ein Repertoire an möglichen Herangehensweisen und Lösungen entstanden, auf dem neue Varianten der Interpretation aufgebaut werden können.

  • Sinnhaftigkeit

Die tiefe Passion von Bernard Haitink für die Musik, die er dirigiert, ist mit omnipräsent - auch wenn die Bewegungen am Pult nur noch minimal sind und manchmal zu kurzen Blicken mutieren.

  • Persönlichkeit und Charisma

Die zentralen Persönlichkeitsmerkmale, welche das Charisma einer Person ausmachen, sind wohl am schwierigsten zu fassen. Es gibt ja nicht die Persönlichkeit! Nicht einmal klar ist, was denn eigentlich Charisma ausmacht und welche Eigenschaften in welchen Professionen und beruflichen Kontexten von Bedeutung sind. Wohl gehören dazu Dinge wie Lernfähigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen und Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Bei einigen Eigenschaften ist wohl wichtig, dass sie im Gleichgewicht möglicher Extreme vorkommen: Sensibilität darf nicht Labilität sein, und Perfektionismus darf nicht zur Schikane und zum Selbstzweck werden!

Leadership ist ein lebenslanger Lernprozess

Als Fazit bleibt, dass Leadership wohl nur zum Teil gelernt werden kann - und wenn sie an-gelernt ist, kläglich Schiffbruch erleiden wird. Leadership ist eine Mischung aus Wissen und Können, aber vor allem auch persönliche Entwicklung und Erfahrung, die immer kritisch hinterfragt wird. Leadership ist ein lebenslanger Lernprozess!