Einsicht haben - oder Rat holen

Sie stehen vor einer schwierigen Entscheidung? Die ganze Verantwortung für die Folgen wird Ihnen – und nur Ihnen – zugerechnet? Im Volksmund hiess es dann (viel früher): «Selbst ist der Mann!» - und etwas später vergleichsweise «Selbst ist die Frau!»

Beides falsch: Mehr Augen, mehr Gedanken und mehr Erfahrung als nur eine Person sie haben kann bringen mehr Aspekte aufs Tapet. Wichtig dabei ist, dass nicht nur Personen aus dem gleichen Bubble und nicht nur Ja-Sager involviert werden. Und der Fragende auch akzeptiert, dass jemand keinen Rat geben kann oder will. Das setzt aber auch Offenheit und kritische Distanz zu sich selber voraus.

Kluge Leute haben dies bereits vor mehreren hundert Jahren reflektiert und zu Papier gebracht, zum Beispiel Baltasar Gracián, spanischer Jesuit (1601-1658) in seinem 1647 veröffentlichten Traktat «Oráculo manual y arte de prudencia» (Handbuch und Kunst der Klugheit). Mit unvergleichlicher Prägnanz werden darin – unter anderem - Sturheit und einsame Entscheide aufs Korn genommen. 

«Einsicht haben – oder denjenigen anhören, der sie hat!

Ohne Verstand lässt sich nicht leben. Aber viele wissen nicht, dass sie nichts wissen, und andere glauben zu wissen, wissen aber nichts. Gebrechen im Kopf sind unheilbar, und da die Unwissenden sich selber nicht kennen, suchen sie auch nicht, was ihnen mangelt, nämlich Wissen. Manche würden weise sein, wenn sie es nicht zu sein glaubten. ... Sich beraten lassen schmälert nicht die Grösse und zeugt nicht von Mangel an Fähigkeiten, sondern ist gerade der Beweis derselben.»

Wir alle kennen Menschen, die glauben wissend zu sein, es aber nicht sind! Passen wir auf, dass wir nicht selber dazu gehören.

PS. Padre Baltasar kam mit dieser und weiteren Publikationen, unter anderem seinem Roman «El Criticón», in Schwierigkeiten, wurde von seinem Orden mit einem Publikationsverbot belegt und verlor seine Lehrtätigkeit in Saragossa.