Not macht stark

Zu wenig Wasser lässt die Erde vertrocknen und zu wenig Aufmerksamkeit eine Beziehung sterben, eine Krankheit tangiert die Lebensqualität und im Alter wird Vieles mühsam, Einiges sogar unmöglich.

In unserer sozialen und natürlichen Umwelt lauern Gefahren und hochexplosive Konflikte, die wir nicht beeinflussen können: Naturgefahren, Kriege, Pandemien, Aufeinanderprallen von Kulturen und Werthaltungen. Wie soll man leben in einer Welt mit viel Düsterem und Schrecklichem? Mit Kunst und Literatur, welche die zelebrierte Melancholie nobelpreiswürdig findet? Mit Freunden und Bekannten, welche zu Pessimisten geworden sind?

 

Wir leben nicht auf einer einsamen Insel

Die Welt und die Menschen dürfte kaum schlechter sein als vor 500 oder 1000 Jahren. Das hilft nicht wirklich, aber wir sollten uns immer bewusst sein, dass es zum ersten Mal in der menschlichen Zivilisation nicht möglich ist, sich abzuschotten gegenüber Nachrichten aus weit entfernten Gegenden dieser Erde. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit wird von den Medien eine bestimmte Qualität von Nachrichten vorrangig ausgewählt. Um es mit einem Bild zu sagen: Die Nachricht «Flugzeug ist sicher gelandet!» ist nun mal keine Geschichte, die Aufmerksamkeit finden würde, die Schlagzeile «Unbekannter Messerstecher tötet zwei Menschen auf offener Strasse» aber schon! Das hat wohl sehr viel mit dem Leseverhalten der Menschen und weniger mit der Arbeit der Journalistinnen und Journalisten zu tun! Aufmerksamkeit ist die Währung, in der die Medien rechnen - und wir bezahlen in dieser Währung - freiwillig oder unfreiwillig!

 

Unglücken kann man nicht ausweichen, ...

Wir können den Katastrophen nicht ausweichen, wir kommen nicht darum herum, uns zu konfrontieren und den Herausforderungen ins Auge zu blicken. Aber wie?

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass wir die Wechselfälle des Lebens nicht unter Kontrolle haben. Die grossen Denker der Antike haben das in vielen Varianten durchdacht und formuliert, zum Beispiel Epiktet (ungefähr 50 - 120 n.Chr.): «Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere nicht.»

Schön gesagt, aber was hilft es, wenn ich schwerwiegend krank bin, einen schlimmen Unfall mit Folgewirkungen erleide, oder einen lieben Menschen verliere? Diesen Schmerz, diese Trauer lässt sich nicht weg-argumentieren. Leider bilden solche Ereignisse für viele Menschen den Normalfall.

Nassim Taleb, ein libanesischer Autor, der sich mit dem Phänomen höchst unwahrscheinlicher Ereignisse befasst, hat den Begriff der Anti-Fragilität geprägt. Er schlägt vor, die Natur zum Vorbild zu nehmen. Umweltereignisse und Stressfaktoren können Oekosysteme, aber auch Lebewesen stark treffen und bedrohen. Die Natur reagiert darauf, indem sie sich anpasst, verändert und Stärken entwickelt, die ein Überleben ermöglicht.

 

... aber in Stärken verwandeln

Es ist diese Fähigkeit, schlimme Ereignisse zum Besseren zu wenden, indem man sich anpasst, das heisst nicht starr und damit fragil, sondern eben antifragil ist: Nicht einfach überleben, sondern aufgrund von schlimmen Ereignissen stärker werden. Wer Kinder hat weiss, dass Krankheiten oft Entwicklungsschritte des Kindes anzeigen: Mit der Krankheit ist, so scheint es, ein Mensch mit neuen Eigenschaften entstanden.

Wie kommt man zu diesem antifragilen Verhalten? Offenkundig gelingt es nicht einfach so. In der Natur wird mit grossen Verlusten gerechnet: Ein unkontrollierter Waldbrand führt zu Schäden, die erst nach Jahrzehnten wieder wettgemacht werden - für uns Menschen in vielen Fällen ein schwacher Trost. Im sozialen Geflecht einer Gesellschaft aber gibt es Auffangnetze, welche für Individuen hilfreich sind.

In seiner legendären Rede im März 2011 nach dem Atomumfall von Fukushima hat der japanische Kaiser Akhito das angesprochen:

Mir wurde berichtet, ... wie die Menschen in Japan inmitten ihres großen Leids mit großer Gefasstheit einander helfen und mit der Situation in großer Ordnung umgehen. Ich hoffe von Herzen, dass auch weiterhin alle einander stützen, füreinander sorgen und so diese unglückliche Zeit überstehen.

Schwierige Situationen können wir nicht alleine bestehen! Aber die Vereinsamung in den modernen, digital geprägten Gesellschaften macht die Menschen verletzlich und fragil gegenüber Schicksalsschlägen. Das ist auch die Erkenntnis der weltweit grössten Langzeitstudie von Robert Walden und Marc Schulz: The Good Life - Lessons from the World's Longest Study on Happiness.

Auf einen Satz komprimiert ist das Ergebnis von 75 Jahren Forschung ganz simpel: Good relationships keep us happier and healthier. Wenn es uns gelingt, zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen und zu bewahren, macht uns das glücklicher, widerstandsfähiger und gesünder. Wie diese Netzwerke im Einzelnen wirken, ist wohl komplex und nicht einfach zu erklären. Aber offensichtlich helfen sie, in schwierigen Phasen des Lebens die Fragestellung umzukehren. Nicht: Warum hat mich dieses schlimme Ereignis und Schicksal getroffen? Sondern: Was mache ich daraus!

Für diesen Schritt braucht es gute Gespräche und den Austausch mit Freunden und Familie oder eines Coaches.